Veröffentlicht: 25.03.13
Science

Beton ohne Schalung formen

«Smart Dynamic Casting» nennt sich ein neuartiges Verfahren, das Architekten und Baumaterialspezialisten der ETH Zürich erarbeitet haben. Damit lassen sich individuell geformte Betonelemente effizient und ohne zusätzliche Schalung realisieren.

Redaktion
Gespannt beobachten Ena Lloret Kristensen und Robert Flatt, wie der Roboter mithilfe eines Formzylinders eine Betonsäule in eine vorgegebene Form zieht. (Bild: Prof. Gramazio und Kohler)
Gespannt beobachten Ena Lloret Kristensen und Robert Flatt, wie der Roboter mithilfe eines Formzylinders eine Betonsäule in eine vorgegebene Form zieht. (Bild: Prof. Gramazio und Kohler) (Grossbild)

Beton hat viele Vorzüge, aber auch Nachteile. So kann man ihn zwar in unterschiedlichste Formen bringen, doch wird hierfür eine aufwendige Schalung nötig, in die der Beton gegossen wird. Das ist teuer – die Herstellung individuell geformter Schalungen verursacht bis zu 60 Prozent der Kosten – und es entsteht viel Abfall, denn in den meisten Fällen wird die Schalung nach dem Entfernen weggeworfen. Dies macht das Herstellen von individuell geformten Betonelementen nicht nur ökonomisch aufwendig, sondern ökologisch nur wenig sinnvoll.

Tatsächlich suchen Architekten und Ingenieure seit geraumer Zeit nach Fabrikationsmöglichkeiten, freigeformte Betonelemente effizient herzustellen, um zugleich die konstruktive und ästhetische Leistungsfähigkeit im Betonbau weiter zu erhöhen. Einem interdisziplinären Team aus Architekten und Baumaterialspezialisten der ETH Zürich ist es nun gelungen, ein Herstellungsverfahren zu entwickeln, mit dem sich individuelle Bauelemente aus plastisch formbarem Beton herstellen lassen – und dies gänzlich ohne zusätzliche Schalung. In diesem Verfahren, «Smart Dynamic Casting» genannt, setzen die ETH-Forscher konsequent auf die Vorteile digitaler Entwurfsprozesse und robotergestützter Fabrikationsverfahren.

Das Geheimnis des perfekten Timings

Für die Produktion der Bauelemente wird Beton in ein 60 Zentimeter langes Metallrohr, die «Slipform», gefüllt. Dieses ist am Arm eines Industrieroboters befestigt. Sobald die Betonfüllung nach rund zwei Stunden stabil genug ist, bewegt der Roboter seinen Arm in einer vorprogrammierten vertikalen Bewegung und passt die Geschwindigkeit dem individuellen Härtegrad der im Rohr gerade aushärtenden Betonmasse an. Auf diese Weise gleitet das Rohr allmählich nach oben und zieht den Beton in die gewünschte Form.

Wesentlich ist das perfekte Timing: Denn in dem Moment, in dem der Beton sein Eigengewicht tragen kann, wird er durch den Roboter in Form gebracht. Durch weiteres Zufüllen entsteht dann ein geometrisch differenziertes Betonelement im baulichen Massstab, das durch ein solches digital kontrolliertes Gleitbauverfahren auf effiziente und präzise Weise hergestellt werden konnte.

Das klingt einleuchtend und einfach, ist es aber nicht. So härtet Beton nicht vollkommen gleichmässig aus, sondern zuerst langsam und stetig, dann aber immer schneller. So muss nach dem Befüllen der «Slipform» eine bestimmte Wartezeit eingehalten werden. Dies hängt von zahlreichen Einflussfaktoren ab. Die Einzigartigkeit des Projekts ist es nun, den Beton in jenem kritischen Zeitfenster zu bearbeiten und durch ein roboterbasiertes Verfahren kontrolliert zu verformen.

Entscheidendes Zusammenspiel von Chemikalien

Um dieses minimale Zeitfenster während des Aushärtens des Betons nutzen zu können, haben die Forscherinnen und Forscher ein spezielles Messverfahren entwickelt, das es ihnen erlaubt, die momentane Konsistenz des verwendeten Betons gezielt zu bestimmen. Hierzu werden vor dem Befüllen der «Slipform» einzelne Materialproben genommen und deren Konsistenz analysiert. Hält eine Probe einem gewissen Druck stand, kann der Roboter beginnen, den Werkstoff durch seine Bewegung zu formen.

Damit sich Beton überhaupt so bearbeiten lässt, fügen die Baumaterialspezialisten dem Beton bestimmte Zusatzmittel bei, um nicht nur die Rheologie, sondern ebenso den zeitlichen Verlauf der Aushärtung zu beeinflussen. Eben genau jenes Zusammenspiel der Chemikalien zu verstehen und dies in Abhängigkeit unterschiedlichster Fabrikationsvorgaben zu kontrollieren, war eine grosse Herausforderung – und ist es immer noch. Diese Interaktionen und Abhängigkeiten zu erforschen, ist das Dissertationsthema von Amir Reza Shahab, der als Doktorand von Professor Robert Flatt am Institut für Baustoffe (D-BAUG) an genau diesem Thema arbeitet. Falls die Forschung in diesem Teilgebiet erfolgreich sein sollte, wäre eine sehr wichtige Brücke zur industriellen Machbarkeit geschlagen und damit weitere Anwendungspotenziale ermöglicht.

Gedrehte Säule als erster Prototyp

Um die Potenziale von «Smart Dynamic Casting» in einem baulichen Massstab aufzuzeigen, haben die Forscherinnen und Forscher eine annähernd zwei Meter hohe und geometrisch in sich gedrehte Betonsäule hergestellt. «Dies war für uns ein gutes Beispiel, um die Verformbarkeit von Beton in einer architektonisch relevanten Formgebung und Skalierung zu testen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben uns im Vorfeld gesagt, dass es sinnlos wäre, derartige Objekte in einer solchen Art und Weise herzustellen. Umso glücklicher sind wir nun, dass es tatsächlich geklappt hat und wir gleich die nächsten Schritte gehen können», sagt Ena Lloret Kristensen, die als Doktorandin der Professoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler ebenso an diesem Projekt forscht.

«Wir freuen uns natürlich sehr, mit diesem Projekt im Bereich der digitalen Fabrikation einen weiteren, sehr wichtigen Schritt gemacht zu haben und bereits nach so kurzer Zeit solche Ergebnisse zu erhalten. Möglich wurde dieses Projekt nicht zuletzt durch die Förderung durch ein ETH Zurich Research Grant», ergänzt Matthias Kohler.

Materialeigenschaft in Entwurf integrieren

Mit «Smart Dynamic Casting» eröffnen sich eine Vielzahl weiterer kreativer Möglichkeiten für die effiziente Herstellung von individuell geformten Betonbauteilen. Professor Robert Flatt bekräftigt, dass «ohne die Verknüpfung von digitaler Fabrikation und den verbesserten und gezielt kontrollierbaren Materialeigenschaften des Betons dieses Verfahren schlicht undenkbar wäre.» Denn bei dieser Produktionstechnik müssen die Materialeigenschaften bereits in den Entwurfs- und Planungsprozess einbezogen werden. Dadurch unterscheidet sich das Projekt massgeblich von herkömmlichen statischen Betonbauverfahren, mit denen geometrisch komplexe Betonstrukturen entworfen und gebaut worden sind.

«Smart Dynamic Casting» hat das Potenzial, eine nachhaltige, abfallarme Bautechnik zu werden, die innovative digitale Entwurfs- und Fabrikationsprozesse mit den neuesten Erkenntnissen der Materialwissenschaften kombiniert. Für das Bauen mit Beton eröffnet dies neuartige Perspektiven, indem durch den unmittelbaren Einbezug der Material- und Fabrikationslogiken das konstruktive Spektrum massgeblich erweitert und eine neue Ästhetik ermöglicht wird.

 
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